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Das "fortgeflogene" Schwein

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So hieß dieser Eintopf, der eigentlich ein Wildschwein-Ragout ist, lange Zeit bei uns. Der Name war angelehnt an das marokkanische “Djaja Tarat/ das fortgeflogene Huhn”, ein herzhafter Eintopf mit Kichererbsen und Süßkartoffeln, der ohne Huhn auskommen muss, da es, so die Geschichte, seinem Schlachtschicksal einfach entflog. In Wirklichkeit waren vermutlich eher die Mittel begrenzt, aber mit dieser schönen Geschichte verbrämt fiel der Verzicht leichter. In unserem Fall war es nicht der Mangel an Mitteln, sondern einfach die fehlende Quelle. Unserem “Hausjäger” fehlt noch das Revier. Da das Rezept jedoch so gut klang, erhöhte ich einfach die Gemüsemenge und ließ das Fleisch weg. Und es schmeckte uns so gut, dass wir es einst fast wöchentlich zubereiteten. Als wir am Wochenende überlegten, was wir kochen könnten, erinnerte ich mich an das Rezept. Herr H. schwörte Stein und Bein, dass ich es schon verbloggt hätte, aber siehe da. Das war nicht der Fall.

Für das Wildschwein-Ragout mit Orecchiete:

  • 400 g Wildschweinkeule- oder schulter, sehr klein gewürfelt oder durch die grobe Scheibe des Fleischwolfs gedreht (ich: Schweinenacken)
  • 1 Zwiebel, fein gewürfelt
  • 1 Knoblauchzehe, fein gewürfelt
  • 2 Möhren, gewürfelt oder in Scheiben geschnitten
  • 200 g Steckrübe, gewürfelt
  • je 1/2 TL schwarze Pfefferkörner und Wacholderbeeren, leicht angemörsert
  • 1 Zweig Rosmarin
  • 1 Lorbeerblatt
  • 50 g Speck, fein gewürfelt
  • 60 g passierte Tomaten (oder 1 TL Tomatenmark mit Wasser verrührt)
  • 125 g Rotwein
  • 50 g getrocknete Pflaumen (ich: und Feigen), gewürfelt
  • 1 kleine Kartoffel, gerieben zum Binden (oder Speisestärke in etwas Wasser angerührt
  • Orecchiete nach Belieben, al dente gegart
  • evtl. Saure Sahne zum Servieren (ich: frischen Koriander)

zutaten serie

Die Zubereitung ist, wie bei jedem “Eintopfgericht”, denkbar einfach, sind alle Zutaten erst einmal bereit gestellt. Ich ließ die Speckwürfel aus, nahm sie aus dem Bräter und briet die Nackenwürfel portionsweise darin hell an. Dann nahm ich sie heraus, schwitzte die Zwiebelwürfel in ca. 10 Minuten bei schwacher Hitze glasig, fügte das restliche Gemüse und das Fleisch wieder hinzu und goß ein Schlückchen Rotwein an. Nachdem es einreduziert war kam das nächste Schlückchen und so fort, bis der Wein verbraucht war. Das dauert zwar eine Weile, aber es lohnt sich, wie Herr H. mir vorlas:

“Die Säuren aus Wein oder Essig werden dabei teilweise zersetzt und deshalb milder. Außerdem karamellisieren Kohlenhydrate und Zucker aus der Ablöschflüssigkeit im heißen Bratfett, so dass neue Aromen entstehen. Und schließlich bildet sich durch die schockartige Verwirbelung von Flüssigkeit un Bratfett eine Emulsion; die Sauce bekommt einen seidigen Glanz. Mehrfaches Ablöschen verstärkt diesen Effekt”

Ich gab nach der Prozedur die Trockenfrüchtewürfel etwas Salz in den Topf, bedeckte alles knapp mit Wasser und ließ das Ragout eine Stunde abgedeckt bei schwacher Hitze schmoren. Herr H. garte die Orecchiete, ich band die Sauce mit Speisestärke (mich stören die feinen Kartoffelstreifen in der Sauce), schmeckte das Ragout noch einmal mit Salz und Pfeffer ab und vermengte es behutsam mit den Orecchiete. Listo.
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Fazit: Im Gemüsefach lungerte noch ein halbes Bund frischer Koriander, das nach Verwertung schrie. Ich war nicht ganz sicher, ob die Benutzung ein zu großer Frevel wäre. Herr H. ist in solchen Dingen resoluter. Er schnappte sich einen Löffel Ragout, legte ein Korianderblättchen dazu und probierte. Schmeckt, befand er knapp, fotografierte und dann durfte ich endlich auch probieren. Selbst mit nicht wildem Schwein schmeckte das Ragout fantastisch. Ich bereute, nicht gleich die doppelte Menge zubereitet zu haben, da das Ragout noch einmal aufgewärmt am nächsten Tag sicher noch besser schmeckt. Nächstes Mal und dann vielleicht auch mit echtem Wildschwein. In der Zwischenzeit werden wir uns vermutlich mit der vegetarischen Variante trösten. Lässt man Fleisch und Speck weg, braucht es einfach etwas mehr Gemüse und eine Prise Pimentón de la vera. Funktioniert einwandfrei und gart deutlich schneller.

Aus: Slow Cooking – Kochen mit Zeit, Lust & Liebe Hans Gerlach

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  1. Wildschwein steht hier auf dem Wunschzettel ganz weit oben! Und so mit den Trockenfrüchten bestimmt super.

    • Ich bin auch schon sehr gespannt, wie es mit “echtem” Schwein schmecken wird. 🙂

  2. ireneke156 ireneke156

    Das kommt sofort zu meiner Wunschliste!
    Das könnte man doch sicher auch im DutchOven machen, oder?
    Sag mal Herrn H. einen Gruß und ein ganz großes Kompliment an seine hervorragenden Bilder.
    Ich nehme an, er ist vom Fach.

    • Betimmt. Soweit ich weiß, ist ein DutchOven auch nichts anderes als ein gusseiserner Bräter, oder?
      Herr H. hat sich sehr über das Kompliment gefreut, auch wenn er nicht vom Fach ist. 😉

  3. Also ich fürchte, dieses Schwein würde bei uns auch wegfliegen. Das klingt so, als würde das einfach so verschwinden und keiner will’s dann wieder gewesen sein. 😉

    • So ähnlich ist es gewesen, nächstes Mal mache ich wirklich gleich die dreifache Menge. 😉

  4. Darf ich bitte ein Tellerchen haben??
    Der Herr hier isst nicht gerne Wildschwein und ich liebe es sooo! vor allem so wie hier als Ragu…

    • Selbstverständlich. 🙂 Und es schmeckt wirklich auch mit “normalem” Schwein sehr gut, vielleicht wäre es dann auch etwas für den Herrn.

  5. So ein Ragout nehme ich gerne mit Wild- oder Hausschwein, aber auch gerne ohne 😉
    Liebe Grüsse aus Zürich,
    Andy

    • Schön, dass du so felxibl bist. 🙂
      Liebe Grüße aus dem supersonnigen Hamburg,
      Eva

  6. Das würde ich mit und ohne fortgeflogenem Schwein essen 🙂 Und jetzt hast Du mich erinnert, Wildschwein, das gab es ewig nicht mehr.

    • Heute gibt es wohl wieder die ohne-Variante. 😉
      Wildschwein gab es hier ja auch nicht, aber bald, hoffe ich zumindest.

  7. Ha! Zuerst dachte ich, jetzt kommt der vegetarische Kracher, das Schwein ist davongelaufen, aber du hast doch noch eines eingefangen! Beim Metzger meines Vertrauens bekam ich vor ein paar Wochen Wildschwein. Hoffe, dass das noch immer so ist, dann probiere ich dein Rezept! Steckrüben u Pflaumen, das stelle ich mir großartig vor.
    Die Lektion über das Ablöschen in kleinen Schlückchen war für Cheriechen neu, herzlichen Dank an den Herrn H.! Ein Schlückchen fürs Töpfchen, eines fürs Kröpfchen…
    Liebe Grüße
    Cheriechen

    • Danke, Cheriechen. Was für ein großes Glück! Der Dorfschlachter bei meiner Mutter hat auch Wildschwein aus regionaler Jagd im Angebot, aber inzwischen ist es zu kalt, um eben mal 120 km zu radeln, um einzukaufen. 😉
      Mir war schon klar, DASS man es so mit dem Ablöschen macht, aber eben nicht WARUM eigentlich, deshalb habe ich’s aufgenommen.
      Liebe Grüße,
      Eva

  8. Das klingt sehr lecker, egal ob mit wildem oder zahmen Schwein oder gar sonstigem Fleischlichem. Zuerst erinnerte mich der Titel an das Buch “Schweine mit Flügel”. Das hab ich mal so vor 40 Jahren gelesen, aber weiß nicht mehr worum es geht.
    Liebe Grüße Gerd

    • Danke, Gerd. Ich kannte das Buch nicht, aber Herr H. erinnerte sich sogleich daran, es auch gelesen zu haben und bekam prompt rote Ohren. 😉
      Liebe Grüße,
      Eva

  9. Sehr lecker! Ich liebe Schmorgerichte so sehr. Mal schauen, wäre was für den Besuch am Wochenende. Das Ragout könnte mittags schon köcheln, die Küche kann aufgeräumt werden und abends dann nur Pasta kochen – wunderbar! Einen kleinen Salat noch dazu und alle sind glücklich 🙂

    • Danke, Sandra. Ich ja auch. 🙂 Und für Besuch sind sie perfekt (wenn man nicht unbedingt beeindrucken will), machen wir ganz oft und in der Tat sind dann alle glücklich. 🙂

  10. Wildschwein kriege ich beim Metzger des Vertrauens problemlos geliefert! Und um neue Rezepte damit bin ich immer dankbar 🙂 Die Kombination mit Trockenfrüchten stelle ich mir unheimlich lecker vor! Schwieriger wird es hier mit Steckrüben, die habe ich bisher noch nirgends entdeckt…

    • Hast du es gut. 🙂 Zumindest, was das Schwein angeht. Es gibt bei euch tatsächlich keine Steckrüben? Wenn du möchtest, kann ich dir gern ein Exemplar zukommen lassen oder du musst einfach mal nach Norddeutschland reisen. 🙂

      • Ich war anfang Jahr in Hamburg – war allerdings beruflich und ich hatte kaum Zeit für anderes. Aber wenn ich nächstes Mal da bin, dann komm ich auf ein Stück Torte vorbei, so viel steht eh fest 😉 Steckrüben sind mir hier noch nie vor die Nase gekommen, nö. Und versandtechnisch mit Zoll (man bemerke: CH = halt immer noch nicht EU) ist das meines Wissens relativ komplex :-/

        • Stimmt, das mit dem Zoll ist lästig. Ich habe gehört, dass viele Schweizer grenznahe Adressen haben, an die man etwas schicken kann. Aber wenn du stattdessen auf ein Stück Torte vorbei kommst, ist es sogar besser. 🙂 Nur rechtzeitig Bescheid sagen.

  11. Bettina Bettina

    Liebe Eva, ich mag Deinen schönen blog sehr gerne und bewundere Deine großartigen Fotos. Wir sind auch “nur” ein Zwei-Personen-Ehe-Haushalt 😉 Was mich wirklich interessiert: Wie schafft Ihr es nicht zu viele “Reste” zu produzieren? Hier wurden 400g Fleisch verwendet plus Gemüse plus Nudeln… Bei großem Hunger verspeist man dies 🙂 Aber was macht Ihr mit Euren Torten, Kimchi etc… Die beste Nachbarin von allen hilft, das ist fein 🙂 Ich denk oft, wenn ich Blogs lese und sehe wie viele unterschiedliche Gemüse und Fleischsorten (und auch schnell verderbliche Kräuterbünde) verwendet werden: wie schafft ihr eine ordentliche Haushaltsführung, in der fast nichts verschwendet wird?

    • Danke, Bettina. Das freut mich sehr! 🙂
      das mit der Vorratshaltung und dem Aufbrauchen ist tatsächlich eine losgistische Meisterleistung, die mir auch nicht immer völlig lückenlos gelingt. Das ist bei so vielen unterschiedlichen Länderküchen wahrscheinlich auch nicht möglich. Vieles (Kaffir-Limmetenblätter, Zitronengras, frischer Galgant etc.) läßt sich prima tiefgekühlt aufbewahren. Getrocknete Gewürz muss ich gelegentlich, wenn sie schon weit das Verfallsdatum überschritten haben, entsorgen. Und bei dem Rest geht es eben auch so zu, dass ich schaue, was dringend verarbeitet werden muss und die Mahlzeiten danach plane. Und ich prüfe inzwischen recht gewissenhaft, ob ich das neue, hippe XY wirklich brauche. Ich hoffe, ich konnte wenigstens ein bisschen helfen.
      Liebe Grüße,
      Eva

      • Bettina Bettina

        Liebe Eva, danke für Deine ausführliche Antwort. So ähnlich handhaben wir es hier auch. Ich will nichts wegschmeißen und muss es auch sehr selten tun. Allerdings hat das den Nachteil, dass man immer unter Druck ist nur Rum-Fort zu kochen und nie die schönen Rezepte aus foodblogs drankommen 😉

        • Das stimmt. Ich halte deshalb nach Rezepten Ausschau, bei denen ich etwas “loswerden” kann, was eh weg muss – und bei der Vielzahl an Anregungen ist eigentlich immer eins dabei. 🙂

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